DER STEH AUF MANN

26. Dezember 2019 Redaktion 0 Comments

DIE LEICHTATHLETIK-WELTMEISTERSCHAFT WURDE FÜR ANDREAS HOFMANN ZUR ENTTÄUSCHUNG: ÜBERRASCHEND SCHEITERTE DER SPEERWERFER DER MTG MANNHEIM SCHON IN DER QUALIFIKATION. NUN GILT SEINE GANZE KONZENTRATION DEN OLYMPISCHEN SPIELEN IM KOMMENDEN JAHR.

Andreas Hofmann kennt alle Höhen und Tiefen des Sportlerlebens. Der Modellathlet von der MTG Mannheim, der wegen seines Gardemaßes von 1,95 Meter liebevoll „Langer“ genannt wird, muss sich gerade wieder aus einer Talsohle herausarbeiten, denn die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Doha verliefen für den Speerwerfer aus dem Team Tokio des Olympiastützpunktes Metropolregion Rhein-Neckar alles andere als geplant. Das Scheitern bereits in der Qualifikation traf den 27-Jährigen unerwartet und verschlug dem redegewandten, normalerweise gutgelaunten Mann sogar zeitweise die Sprache. Doch Ausflüchte, wonach laut Information der TV-Reporter vor Ort bei seiner Qualifikationsgruppe in Doha wegen der da schon voll laufenden Klimaanlage andere Bedingungen im Stadion herrschten als in der ersten Gruppe, will er nicht gelten lassen. Inzwischen hat er im Sri-Lanka-Urlaub mit seiner Freundin den nötigen Abstand gewonnen.

„EGAL WAS PASSIERT – MORGEN GEHT DIE SONNE WIEDER AUF“ IST ZU ANDREAS HOFMANNS LEBENSMOTTO GEWORDEN.

„Man darf solche Wettkämpfe nicht zu stark an sich heranlassen. Natürlich war ich direkt danach sehr traurig und emotional angeschlagen. Aber auch wenn du weißt, was du in diesem Moment leisten kannst und es – warum auch immer – nicht abrufst, geht morgen wieder die Sonne auf“, sagte er, nachdem er seine Sprache wiedergefunden hatte. Dieses „Egal was passiert – morgen geht die Sonne wieder auf“ ist Hofmanns Lebensmotto und kennzeichnet den „Stehaufmann“. Stehaufmännchen wäre bei seiner Statur ja nun wahrlich der falsche Ausdruck.

Rückschläge machten ihn stärker

Schon mehrmals in seiner Karriere erlitt er Rückschläge. Meist wegen Verletzungen. Nach seinem Europameistertitel bei der U20 im Jahr 2009 in Novi Sad wollte der damalige deutsche Jugendmeister so richtig durchstarten, doch zwei Jahre lang bremsten ihn erst ein Haarriss und dann Leisten- und Schulterprobleme aus. Drei Operationen musste er in dieser Leidenszeit über sich ergehen lassen. Bundestrainer Boris Obergföll (der damals noch Henry mit Nachnamen hieß) ließ das Talent dennoch nie fallen. „Glücklicherweise hatte ich zwischendurch mal die Bundeskadernorm geworfen“, erinnert sich Hofmann.

2012 knackte er dann erstmals die 80-Meter-Marke, doch der nächste Karriereknick folgte prompt – diesmal wegen eines lädierten Ellbogens und einer Operation am Innenband. Sein Heim-Coach Lutz Klemm dachte sich ständig Neues aus, damit sein Schützling nicht ganz einrostete. Heute weiß Andreas Hofmann: „Auf jeden Fall helfen solche Erfahrungen sowohl beim Wettkampf als auch im Training. Man lernt, besser mit seinem Körper umzugehen. Mental stärken solche Erfahrungen enorm, da man weiß, was in solch schwierigen Situationen auf einen zukommt“, sieht er die Tiefschläge nicht nur negativ.

Zumal der Durchbruch des Kirrlachers zwar verspätet kam, dannaber mit umso mehr Macht. 2014 gewann er in Braunschweig bei den Team-Europameisterschaften den Speerwurf mit erstmals über 86 Metern, sicherte dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) volle zwölf Punkte und trug einiges dazu bei, dass Deutschland den Titel gewann. Damals kommentierte er auch erstmals seinen Wettkampf mit dem inzwischen fast schon legendären Jubel: „Hammer, fett, Bombe, krass“, einem Song-Zitat von Sido featuring Helge Schneider.

Hammer, fett, Bombe, krass: Sein Jubel wird zum Markenzeichen

Auf diese Weise jubeln durfte er in der Folgezeit immer wieder. So bei der Weltmeisterschaft 2015 in Peking nach neuer Bestleistung im Finale und Rang sechs. Oder nach seinem ersten Wurf über 90 Meter (91,07 Meter) bei der Universiade 2017 in Taipeh. Dass er im letzten Versuch doch noch auf Rang zwei verwiesen wurde, schmälerte seine Freude nur wenig. Es war übrigens erst der zweite Wettbewerb der Speerwurf-Geschichte, in dem zwei Werfer die 90 Meter übertrafen. Wieder hatte Andreas Hofmann bewiesen, dass ein Rückschlag ihn nicht aufhält: In der Olympiasaison 2016 war er überhaupt nicht zurechtgekommen, hatte die Qualifikation für Rio nicht geschafft. „Meine größte Stärke ist der Ehrgeiz, meine größte Schwäche ist zu viel Ehrgeiz“, lautet seine Selbsteinschätzung.

Das Jahr 2018 sollte mit weiteren vier Würfen über 90 Meter und dem ersten Deutschen-Meister-Titel sein bislang bestes werden. Schon der Einstieg in Rehlingen (91,44 Meter) verlief perfekt, wenig später in Offenburg landete das Gerät bei 92,06 Metern. „Mittlerweile kann ich mich besser auf den Moment fokussieren und auch technische Dinge besser reflektieren. Ich bin gereifter und ausgeglichener. Ich surfe auf dieser Welle mit. Ich gehe ruhiger und konzentrierter an die Sache ran und bin dennoch positiv aggressiv“, sagte er vor der Heim-EM 2018 in Berlin. „Natürlich habe ich vor dem Wettkampf noch diese Flugzeuge im Bauch, ohne Adrenalin geht es nicht.“

Das Finale mit den drei Weltklasse-Speerwerfern aus Deutschland, mit Olympiasieger Thomas Röhler (Jena), dem damaligen Weltmeister Johannes Vetter (Offenburg) und eben Andreas Hofmann, entwickelte sich tatsächlich zu einem Höhepunkt der Europameisterschaften. Das Publikum vor Ort und vor den TV-Geräten war vielleicht auch deshalb so fasziniert, weil das DLV-Trio trotz aller Konkurrenz auch Freundschaft dokumentierte, sich gegenseitig unterstützte und Tipps gab. Diese Verbundenheit ist vor allem ein Verdienst von Bundestrainer Boris Obergföll, der großen Wert auf Teamgeist legt – und der viel von Hofmann hält, vom größten und stärksten seiner Athleten. „Seine Explosivwerte sind gigantisch“, lobte er schon 2017. „Jeder von uns hat einen anderen Trainer, aber Boris hat aus Individualisten ein Team geformt“, betont Hofmann, der sich als Vize-Europameister hinter Röhler auch zu Hause in Mannheim und Kirrlach feiern ließ. Die „Kirsche auf das Sahnehäubchen“ setzte er dann beim letzten Wettkampf der Diamond-League-Serie, als er den mit 50.000 Dollar dotierten Gesamtsieg holte. Nach diesem ersten großen internationalen Erfolg war er endgültig aus dem Schatten von Röhler und Vetter getreten.

ZUR LEICHTATHLETIK KAM HOFMANN EHER WIDERWILLIG: ALS BUB WOLLTE ER LIEBER FUSSBALL SPIELEN. ÜBER DEN MEHRKAMPF LANDETE ER SCHLIESSLICH BEIM SPEERWURF. SEIN TRAINER LUTZ KLEMM BETREUT IHN SEIT 2006.

Als Kind wollte er lieber Fußball spielen

An das Leben aus dem Koffer hat er sich längst gewöhnt. „Reisen ist schon eine schöne Sache, jedoch sehe ich bei meinen Wettkämpfen nur den Flughafen, das Hotel und das Stadion. Es ist selten der Fall, dass ich noch etwas Zeit habe, um mir die Stadt anzuschauen“, erzählt er. In seiner persönlichen Rangliste steht das EM-Silber von 2018 ganz oben, gefolgt vom Diamond-League-Sieg und dem DM-Gold 2018, Platz zwei bei der Universiade 2017, Rang eins bei den Team-Europameisterschaften 2014, dem DM-Titel 2019. Zu seinen Top acht gehören außerdem die beiden Goldmedaillen 2009 bei der U-20-EM und der U-20-DM.

Trotz seiner großen Erfolge ließ sich Andreas Hofmann nie auf Abwerbungsversuche anderer Vereine ein. Dazu hängt er zu sehr an seiner Heimat. „Heimat bedeutet für mich in erster Linie Familie. Dort, wo ich mich geborgen und wohl fühle, ist für mich Heimat. Die Metropolregion Rhein-Neckar hat mir während meiner bisherigen aktiven Zeit als Leichtathlet sehr viel gegeben. Ich möchte mir auch in Zukunft hier in dieser Region etwas aufbauen“, sagt er. Vor ein paar Wochen ist er von Kirrlach nach Heidelberg gezogen. Was nach dem Sport kommt? „Darüber mache ich mir meine Gedanken. Jedoch zu sehr festlegen möchte ich mich noch nicht, da ich nicht weiß, was die Zukunft bringt.“

Der MTG Mannheim hält er seit 2004 die Treue. Die ersten Schritt ein der Leichtathletik hatte er eher widerwillig und auf Drängen seines Vaters beim TV Kirrlach unternommen, denn eigentlich wollte er nur Fußball spielen. Der Bürgermeister seines Wohnortes stellte dann den Kontakt zur MTG her, denn er hatte gemeinsam mit dem Mannheimer Leistungssport-Chef Rüdiger Harksen Abitur gemacht. Dass er gerade beim Speerwerfen landen sollte, ergab sich aber erst später: „Als kleiner Junge habe ich mir immer vorgestellt, ich werde später einmal Sprinter und/oder Weitspringer. Doch während meiner Zeit als Jugendlicher hat sich mit dem Mehrkampftraining das Speerwerfen als eine meiner besten Disziplinen herauskristallisiert. Wobei ich auch schon immer sehr gut einen Ball werfen konnte. Nachdem mein Trainer Lutz Klemm mich Ende 2006 darauf angesprochen hat, ob ich mich eine Saison etwas mehr auf diese Disziplin spezialisieren möchte, bin ich unter anderem auch auf Anraten meines damaligen Mehrkampf-Coaches Georg Thome zu meiner neuen Trainingsgruppe gestoßen. Seit dieser Zeit kann ich mich als Speerwerfer bezeichnen.“ Als „groß, stark, schnellkräftig“, beschreibt er seinen Sportlertypus. Lange griff er immer mal wieder auch zur Kugel oder dem Diskus, 2008 und 2009 holte er mit der A-Jugend der MTG Gold bei den deutschen Mannschaftsmeisterschaften.

Nach dem Bachelor gilt die volle Konzentration Olympia

Die Erwartungen für die extrem späte WM 2019 in Doha waren groß gewesen. Auch bei Andreas Hofmann selbst. Die 87,55 Meter von Shanghai gleich zum Saisonauftakt am 1. Mai sowie zwei Würfe knapp unter 90 Metern kurz danach ließen sich gut an. Auch die Wiederholung seines DM-Titels in Berlin (87,07 Meter) und Rang zwei in der Weltrangliste weckten Hoffnungen. Erfüllt wurden sie nicht. Doch dank seiner Nehmer-Qualitäten wird Andreas Hofmann auch die 80,06 Meter von Doha verkraften und sich ganz auf die Olympischen Spiele 2020 in Tokio konzentrieren. Es werden seine ersten sein. Nach Abschluss seiner Bachelor-Arbeit wird er sich zu einhundert Prozent Tokio widmen, um in der Vorbereitung möglichst viele „gelungene Tage“ zu genießen: „Das sind Tage, die abends so gelaufen ist, wie ich sie mir morgens vorgestellt habe. Auf der einen Seite genieße ich es, Zeit mit meiner Familie, mit meiner Freundin oder meinem Freundeskreis zu verbringen. Denn das Wertvollste, was man einem Menschen geben kann, ist Zeit. Auf der anderen Seite genieße ich auch ab und zu die Zeit alleine. Man braucht immer etwas Abstand, um mit sich im Reinen zu sein.“

ZUR PERSON

Andreas Hofmann wurde am 16. Dezember 1991 in Heidelberg geboren, wuchs in Waghäusel-Kirrlach auf und wohnt seit kurzem in Heidelberg. 2011 machte er am Bruchsaler Gymnasium Sankt Paulus Abitur und will noch im Wintersemester den Bachelor-Abschluss in Sportwissenschaften an der Uni Heidelberg machen. Nach Anfängen als Fußballer begann er beim TV Kirrlach mit Leichtathletik. 2004 wechselte er zur MTG Mannheim, seit 2006 hat er sich auf den Speerwurf spezialisiert und wird von Trainer Lutz Klemm betreut.

Größte Erfolge: 2. EM 2018, 2. Universiade 2017, U-20-Europameister 2009, Gesamtsieger der Diamond-League 2018, Dritter 2019. Persönliche Bestleistung: 92,06 Meter (2018).

Text: Sibylle Dornseiff, veröffentlicht im aktuellen UBI BENE – Lifestyle in der Metropolregion Rhein-Neckar, Redaktion: Ute Maag