Von Johannes Knuth, Shanghai/München
Im vergangenen Winter setzte der Speerwerfer Andreas Hofmann dann endlich zum großen Wurf an: Er schob seine Abschlussarbeit im Bachelor-Studium an, der 27-Jährige ist in Heidelberg am Institut für Sportwissenschaft eingeschrieben. „Wurfleistung und maximale Kraftleistung“ heißt sein Werk, was durchaus keine blöde Idee ist, wenn man wie Hofmann nebenbei als Speerwerfer tätigt ist und als solcher 110 Kilo wiegt, die sich auf 1,95 Meter Körperlänge verteilen. Das ist ja die ewige Sinnesfrage der Werfer: Wie fließt die Kraft aus den Muskelbergen am besten durch den Körper ins Wurfgerät? Zu dieser Problemstellung ließe sich mindestens eine weiterführende Studie im Master-Studium anfertigen, das Hofmann demnächst plant. Aber vielleicht bearbeitet er dann auch einen anderen Aspekt. Wie wäre es mit „Emotionaler und methodischer Performance-Realisierung am Beispiel des deutschen Speerwurfs“?
Die Leichtathleten stehen noch immer am Anfang einer langen Saison, aber auf eines ist gerade wieder Verlass: Die deutschen Speerwerfer haben offenbar vergessen, wie man einen schlechten Wettkampf bestreitet. So tief war eine Disziplin im deutschen Verband ja lange nicht mehr besetzt: Die Männer stellen derzeit den Olympiasieger (Thomas Röhler), Weltmeister (Johannes Vetter), Europameister (Röhler) sowie den Sieger der Diamond-League-Serie (Hofmann). Auch Christin Hussong, die ab und zu im Training der Männer hospitiert, gewann zuletzt EM-Gold. In diesem Sog haben sich auch Athleten wie der Mainzer Julian Weber in die Spitze gezogen – Bestweite 88,29 Meter – oder Bernhard Seifert vom SC Potsdam, der seine Saison jetzt mit Bestleistung eröffnete (85,19).
Der Bringer am vergangenen Wochenende war aber wieder Hofmann, der beim Diamond-League-Meeting in Shanghai mit 87,55 Metern gewann, vor Cheng Chao-Tsun aus Taiwan (87,12) und klar vor Röhler (82,95). Da war es auch egal, dass der Wind den Wettkampf durcheinanderwirbelte, dass Röhlers Speere zerkratzt in Shanghai eingetroffen waren („Wir müssen reden, Lufthansa“) oder dass Weltmeister Vetter wegen einer Fußverletzung gar nicht erst angereist war. Am Ende stellte dann halt Hofmann den nächsten Erfolg sicher, einfach so. Einfach so?
Der Wendepunkt, hat der 27-Jährige im vergangenen Herbst beim Berliner Stadionfest im Gespräch erzählt, war Taipeh. Taiwans Hauptstadt richtete im Herbst 2017 die Universiade aus, und für Hofmann, der gerade Achter im WM-Finale geworden war, waren die Studentenspiele eine willkommene Ersatz-Exkursion. Er hatte die Sommerspiele 2016 noch verpasst, diesmal wollte er sich zwei Wochen lang nicht nur auf den Wettkampf einlassen, sondern „auf das ganze Drumherum“. Er musste sich ja nicht stressen; wenn alles passen würde, sollte er mindestens eine Medaille gewinnen, seine Bestleitung lag damals bei knapp 89 Metern. „Das war eine Lockerheit“, erinnerte sich Hofmann, „die ich bis dahin noch nie so richtig gespürt hatte.“
Hofmann gewann dann auch seine Medaille. Nur völlig anders als erwartet. Er riss zweimal die Führung an sich, das zweite Mal mit 88,33 Metern, das hätte bei der vorherigen Universiade locker für Gold gereicht. Doch diesmal steigerten sich die anderen in Hofmanns Sog, vor allem Cheng Chao-Tsun, der sich für den letzten Versuch vor heimischem Publikum etwas Besonderes aufgehoben hatte: 91,36 Meter, Asienrekord! Hofmann konterte, er übertraf zum ersten Mal überhaupt die 90 Meter, aber selbst das reichte nicht: 91,07, Platz zwei. Was ihn aber mehr ermutigte als grämte. „Ich wollte diese Euphorie und Lockerheit unbedingt in die ersten Wettkämpfe der folgenden Saison mitnehmen“, sagte er, und das gelang ihm dann auch: Hofmann eröffnete das Jahr mit 91,44 Metern in Rehlingen und 92,06 in Offenburg, am Ende der Saison war er deutscher Meister, EM-Zweiter und Gesamtsieger in der Diamond League.
Manchen mag dieser Aufstieg ein bisschen arg spontan vorkommen, allerdings kann Hofmann auch eine längere Vorgeschichte geltend machen. Er war bis vor vier Jahren immer wieder verletzt, mal waren Bänder gerissen, mal schmerzte der Ellenbogen, mal erlitt er einen Ermüdungsbruch. Im Verband wollten sie ihn schon aus der Förderung nehmen, aber Bundestrainer Boris Obergföll sah das gar nicht ein. Heute kann Hofmann aus dieser Zeit viel Kraft ziehen: Geduld, die man nur hat, wenn man sich schon mal mit grundsätzlichen Fragen zu seinem Sportlerleben beschäftigen musste. Oder Offenheit, zum Beispiel für die Kultur des Austauschs, die sie seit Jahren im Speerwurf-Bundeskader pflegen, oder auch für die „vielen Kleinigkeiten“, die er mit seinem Heimtrainer Lutz Klemm verbessert habe. Zum Beispiel, wie man sich mit der nötigen Lockerheit einem Wettkampf nähert.
Der Sommer dürfte erneut intensiv werden, die Männer verfügen für die WM im Herbst diesmal zwar über vier Startplätze, weil Vetter als Titelverteidiger gesetzt ist, aber das Gerangel wird auch so groß sein. „Die Jungs pushen sich schon ordentlich gegenseitig, aber das kann auch Nachteile haben“, sagte Obergföll zuletzt der Zeitschrift Leichtathletik: „Nächstes Jahr kann ich für Olympia nur drei Leute nominieren, da kann der Konkurrenzkampf einen auch killen.“ Aber wenn jemand dafür mittlerweile die nötige Lockerheit mitbringt, dann Andreas Hofmann.zur Startseite